Es ist mal wieder Fellwechselzeit! Die Pferde haaren tüchtig und / oder schieben deutlich neues Fell.
Kaum beginnen die ersten Haare im Frühjahr zu fliegen oder das Pferd wird im Herbst plüschiger, wird den besorgten Pferdehaltern in sozialen Medien ein Video nach dem anderen angezeigt, in dem dargelegt wird, wie fürcherlich schwierig der Fellwechsel für unsere Pferde sein soll. Von großer Belastung für den Stoffwechsel wird gesprochen. Fellwechsel sei Schwerstarbeit fürs Pferd. Eine total harte Zeit! Und man müsse unbedingt den
Stoffwechsel entlasten und die Pferde entgiften. Oder man muss Spezial-Spezial-Spezial - Nährstoffpakete (natürlich gleich mehrere aufeinander abgestimmte Produkte) füttern. Oder auch beides zusammen. Und zumindest ganz viel Zink brauchen wir natürlich auch! Die einen sagen: "Mehr, mehr, mehr, weil doch der Fellwechsel so hart ist!", während die anderen sagen: "Bloß nichts Synthetisches, der Stoffwechsel ist doch total überlastet! Aber für die Leber muss man unbedingt etwas geben! Die Leber ist im Fellwechsel überlastet, darum müssen wir entgiften!"Entschuldigt bitte - ich bin nun an dieser Stelle wirklich etwas sarkastisch, denn mich erreichen jedes Jahr ab Januar / Februar und dann wieder im September / Oktober sehr viele Beratungsanfragen von verunsicherten Pferdebesitzern, die also meinen, man müsse auf jeden Fall etwas tun, weil Pferde (lt. dieser Videos und Artikel) es offenbar nicht schaffen, alleine schadlos durch den Fellwechsel zu kommen. Und natürlich möchte man sein Pferd doch unterstützen, wenn der Fellwechsel also so eine starke Belastung ist. Aber wie denn nun? Entgiften? Mehr füttern? Oder beides? All diese Videos erreichen also ihr Ziel: Inzwischen meint man, man müsse auf jeden Fall irgendetwas füttern zum Fellwechsel. Und viele Pferdebesitzer haben noch nicht einmal ausprobiert, wie es wäre, sein Pferd eben NICHT immer in dieser Zeit zu "entgiften" oder NICHT immer zusätzlich Zink zu füttern.
Und ja! Ich finde auch, dass der Fellwechsel eine total harte Zeit und echt anstrengend ist: Nämlich für mich. Ich habe dann Muskelkater in den Armen und überall Haare an den Klamotten. Meine Pferde aber sind frisch und munter und freuen sich lediglich über die zusätzlichen Massage-Einheiten. Ich habe meine Pferde noch nie im Fellwechsel entgiftet, ich füttere auch nichts Besonderes zu. Sie sind rund ums Jahr gut versorgt und weder müde und abgeschlagen, noch ist das Immunsystem geschwächt oder sonst irgend etwas.
Auch wenn ich mich an meine Kinder- und Jugendzeit (die ja nun schon 40 bis 50 Jahr her ist...) im Reitstall erinnere: Wir haben nie irgendetwas Zusätzliches gefüttert, wir haben einfach tüchtig geputzt. Und komischerweise sind wir gar nicht auf die Idee gekommen, dass Fellwechsel ein solch großes Problem darstellen könnte.
Fellwechsel in der Fachliteratur
Wenn aber der Fellwechsel so eine große Belastung fürs Pferd sein soll, müsste sich doch auch in Fachbüchern etwas darüber finden lassen. Also habe ich allerhand geblättert und gelesen. Als erstes fällt mir aber auf: In den "Standardwerken" zur Pferdefütterung (Coenen / Vervuert "Pferdefütterung" oder "Empfehlungen zur Energie- und Nährstoffversorgung" der GfE) taucht der Fellwechsel gar nicht auf. Es werden zwar diverse Gründe für einen veränderten Nährstoffbedarf genannt - der Fellwechsel ist nicht dabei. Auch in diversen Fachbüchern über Physiologie, Krankheiten, Hautproblemen ist kaum etwas über den Fellwechsel zu finden. Es wird - wenn überhaupt - eher ganz nebensächlich abgetan.
Auch im Internet habe ich diverse Artikel gelesen über den Fellwechsel. In der Regel finden sich dort aber nur Artikel verschiedener Unternehmen, in denen zwar wieder zu lesen ist, wie belastend das doch wäre für den Stoffwechsel - aber WARUM der gesamte Stoffwechsel davon derart belastet sein soll, dazu fand ich auch dort keine Erklärung.
Schließlich bin ich in einem Anatomie-Buch (Wissdorf, Gerhards, Huskamp, Deegen) fündig geworden. Dort wird einiges zum Thema "Haarzyklus und Haarwechsel" geschrieben. Der Haarzyklus in den Haarfollikeln läuft kontinuierlich in 3 verschiedenen Phasen ab:
- der Anagen- bzw. Wachstumsphase
- der Katagen- bzw. Abbauphase
- der Telogen- bzw. Ruhephase
Es wird im erwähnten Buch dann recht ausführlich geschildert, was genau in den verschiedenen Phasen passiert - das ist in der Tat sehr ausgeklügelt und doch komplizierter, als ich es hier in wenigen Worten wiedergeben könnte. Interessant aber: Die Wachstumsphase in den Haarfollikeln kann beim Pferd wahrscheinlich 3 bis 7 Monate andauern. Und wenn man sich diese Zeitspanne anschaut, in der also neue Haare gebildet werden, dann relativiert sich die Sache mit dem Mehrbedarf doch sehr... Es ist eben NICHT so, dass der Fellwechsel ein kurzer, scharf umrissener Zeitraum ist mit einem so sehr anderen Nährstoffbedarf und einer so wahnsinnigen Belastung für den Stoffwechsel.
Aber auch nachdem ich dieses Kapitel über den Haarzyklus durchgearbeitet habe, erschließt es sich mir immer noch nicht, was die Leber damit zu tun haben soll. Es finden zwar verschiedene Ab- und Umbauprozesse statt - aber so ausgeklügelt und zudem über entsprechend notwendige Zeiträume, dass es bei einem gut versorgten Pferd kein Problem darstellen dürfte. Man darf (wenn man genauer über den Fellwechsel liest) wieder einmal voller Bewunderung darauf schauen, wie exakt und fein selbst bis in die kleinsten Zellen ums Haar herum alles funktioniert und welch eine perfekte Struktur jedes einzige Haar mitsamt Haarbalg und Haarfollikel und den umgebenden Strukturen usw. aufweist. Und gerade diese Perfektion lässt mich doch sehr daran zweifeln, ob es denn wirklich sein kann, dass die Natur da so plumpe Fehler eingebaut hat, die es notwendig werden lasssen, das Pferd nun wirklich in jedem Fellwechsel entgiften zu müssen... Weder kann ich mir das vorstellen - noch finde ich irgendeinen Hinweis darauf in der Fachliteratur.
Wieso denken wir, der Fellwechsel würde unsere Pferde so stark belasten?
Viele Pfe
rdebesitzer machen sich Sorgen, weil mit dem Abhaaren im Frühjahr auch eine verstärkte Schuppenbildung einher geht. Die verstärkte "Schuppenbildung" lässt sich leicht erklären: Als Nässeschutz wird von der Pferdehaut Talg gebildet. Besonders Offenstallpferde, die der Witterung stärker ausgesetzt sind, bilden den Winter über allerhand Talg und mit dem Fellwechsel löst sich das vermehrt.Bei verstärkter Talg- oder Schuppenbildung wird gerne von einem "Entgiftungsproblem" ausgegangen. Und unter entsprechenden Produkten wird es dann ja auch besser! Nur wäre es vermutlich in den meisten Fällen auch ohne Zutun besser geworden...
Weiterhin leiden gegen Ende des Winters viele Pferde vermehrt unter Atemwegsproblemen, andere wirken müde und abgeschlagen. Und im Spätsommer / Herbst wiederholt es sich: Viele Pferde husten wieder verstärkt. Auch da wird oft angenommen, man müsse nun die Leber entgiften, weil doch der Stoffwechsel wegen des Fellwechsels so stark belastet sei oder man müsse nun vermehrt Zink füttern, weil der Fellwechsel ja so viel Zink verbrauchen würde.
In der Regel gibt es für die genannten Probleme jedoch andere Ursachen und es handelt sich um eine eher zufällige zeitliche Überschneidung mit dem Fellwechsel.
Wir können es fast jedes Jahr beobachten: Im Laufe des Winters wird das Heu nicht gerade besser. Das Heu zieht oft auch im Lager Feuchtigkeit und bei zunehmend milderen Temperaturen nimmt die Verkeimung nach und nach zu - Pferde husten vermehrt, haben schneller auch mal Kotwasser oder sind aufgegast. Im Herbst werden nach der Weidesaison oft zunächst dann noch die Heureste aus dem Vorjahr aufgebraucht - die Probleme beginnen wieder zufällig zur Fellwechselzeit.
Bevor man das also all diese Probleme auf den Fellwechsel schiebt, sollte man aufs Heu schauen. Wenn Pferde im Frühjahr und Herbst husten, liegt es in der Regel eher am Heu als an "einer Schwächung des Immunystems durch den Fellwechsel". Und auch eine Leberproblematik kann mit der zunehmend schlechteren Heuqualität zu tun haben.
Noch etwas kann man jedes Jahr beobachten: Für so einige Pferde ist die Umstellung von der Sommer-Haltungsweise mit Weidegang (und viel Platz) zur Winterhaltung (oft mit wesentlich beengterem Platzangebot) sehr stressbehaftet: Viele Pferde stehen im Winter auf recht engen Paddocks mit eigentlich zu vielen Pferden zusammen. Oft entsteht besonders in der Übergangszeit erst einmal Unzufriedenheit und Stress in den Pferdeherden - den man den Pferden natürlich auch am Gesundheitszustand durchaus anmerken kann. Manchmal beginnen diese Probleme auch schon auf der Weide, wenn noch kein Heu zugegeben wird, aber das Gras eigentlich nicht mehr zur Versorgung ausreicht. Auch dann kann es (besonders bei niederigen Temperaturen) schnell zu Unruhe in der Herde kommen - und das Pferd wird natürlich nicht so motiviert bei der Arbeit sein.
Auch Magenprobleme treten vermehrt im Winter auf und werden natürlich im Laufe der Wochen (sofern man nicht eingreift) nach und nach schlechter. Durch den Stress können u.U. in der Tat zusätzlich Immunsystem und Leber belastet sein - was aber auch wieder nichts mit dem Fellwechsel zu tun hat, sondern eben mit dem Stress.
Für viele Offenstallpferde ist es im Winter schwierig mit dem Schlaf. Nicht jede Offenstallanlage verfügt über genügend große überdachte Liegeflächen. Meist ist die Begründung dafür: Unsere Pferde schlafen eh lieber draußen. Aber wurde denn auch an teilweise anhaltend nasse Wintermonate gedacht, in denen es draußen auf so manch einem Auslauf gar keine trockenen Flächen mehr gibt? Hier nimmt die Müdigkeit der Pferde im Laufe der Zeit dann tüchtig zu...
Auch an ausreichend Bewegung fehlt es vielen Pferden den Winter über. So ist "der Stoffwechsel" möglicherweise am Ende des Winters wirklich nicht so gut in Schuss. Aber auch hier ist dann nicht der Fellwechsel schuld, sondern die mangelnde Bewegung.
Natürlich kommt es auch vor, dass sich bestimmte Nährstoffmängel aufbauen und zur Fellwechselzeit zeigt sich dann an verschiedenen Stellen, dass die Versorgung nicht ausgereicht hat. In der letzten Zeit tendieren aber viele Pferdehalter dazu, ihre Pferde ZU gut zu versorgen (aktuell gibt es viele überversorgte Pferde), so dass dieser Punkt momentan in den Beratungen meist keine so große Rolle spielt.
Viel häufiger muss man also bei Problemen in dieser Zeit genauer aufs Heu, auf die Bewegung und den Stress schauen - aber nicht einfach blind die Nährstoffzufuhr erhöhen oder "die Leber entgiften" - nur weil wir gerade Fellwechselzeit haben. Genauso wenig zutreffend ist die Sorge, man dürfe während des Fellwechsels den Stoffwechsel nicht mit synthetischen Zusatzstoffen belasten, denn diese würden ja gar nicht richtig aufgenommen werden können und würden nur belasten. Keine Frage! Bei unkontrollierten Überversorgungen ist diese Sorge berechtigt.
Werden aber pauschal und undifferenziert solche Dinge verbreitet, sollte man vielleicht mal genauer nachfragen: WELCHER Stoffwechsel ist denn so belastet im Fellwechsel? Warum sollten die Nährstoffe nicht aufgenommen werden? Gibt es dafür wissenschaftliche Belege? Und welche synthetischen Zusatzstoffe sind überhaupt gemeint? Kann man die tatsächlich alle über einen Kamm scheren?
Bleibt also ganz gelassen und schwingt tüchtig Eure "Werkzeuge" zur Enthaarung! Wenn aber Euer Pferd tatsächlich momentan vermehrt Probleme hat, dann schaut genauer hin - und schiebt es nicht einfach auf den Fellwechsel!